Heute könnt ihr den zweiten Teil des Interviews mit Sistanagila lesen. Wir wünschen Euch eine angenehme Lektüre!
Wie ist das im Alltag: Ihr seid drei israelische Musiker, zwei iranische Musiker und Manager Babak – Wie verständigt ihr Euch im Alltag? Welche Sprache verwendet ihr in täglichen Gesprächen: Deutsch, Englisch?
Yuval: Eigentlich eine Mischung von allem (lacht). Am Anfang war es ziemlich schwer. Einer der Iraner konnte relativ gut Deutsch, ich konnte auch so okay Deutsch. Jetzt zum Beispiel haben wir zwei Israelis und deren Deutsch könnte besser sein (lacht). Und ich finde genau das so spannend, weil das nicht so ganz alltägliche Wörter sind, die wir benutzen. Und eigentlich sprechen wir durch die Musik. Und manchmal sieht das so aus: „Ey, nicht so tum tudum tum, sondern tutu tutum!“ (lacht) oder „Kannst Du mehr so bum bum bum machen?“ Das ist ein bisschen verrückt. (lacht) Aber man muss nicht so viel reden. Man spielt und hat das Gefühl: „Das klappt oder nicht“. Und wenn es nicht funktioniert, sagt jemand „Ey, können wir hier bisschen langsamer oder vielleicht schneller“. Und wenn es nicht funktioniert, merkt man das an den Gesichtern. Das ist aber ein sehr einfaches Deutsch und es geht nicht um komplexe Dialoge. Die Musik muss man spüren und fühlen. Es ist besser etwas zu zeigen und nicht: „Kannst du bitte die dritte Note bisschen tiefer spielen.“ Nein, das brauchen wir nicht.
Babak: Ich würde auch sagen, dass die musikalische Kommunikation eine emotive Kommunikation ist. Auch im Alltag sind die Musiker besser in der Lage, sich emotional auszudrücken, nicht unbedingt verbal, sondern auf der emotionalen Ebene. Das funktioniert ganz gut. Obwohl Yuval auch sagte, es ist nicht einfach, weil einige nicht so gut Deutsch oder Englisch können, aber trotzdem funktioniert das sehr gut auf der emotionalen Ebene. Es gibt diesen Satz von Oscar Wilde… Er hat gesagt, dass die größten Künstler total langweilige Menschen sind, weil alles was sie können und wissen, haben sie durch ihre Kunst ausgedrückt. Deshalb haben sie nicht wirklich viel zu sagen (lacht).
Yuval: Musik ist einfach ein großartiges Medium. Viele fragen uns: diskutiert ihr miteinander über die Politik: Iran-Israel? Ich finde, wenn die Worte da sind, endet das mit einem Streit, Enttäuschung oder starker Verletzung. In der Musik gibt es so etwas nicht. Man kann nicht sagen: ich bin dagegen oder dafür. Die Musik verstehen alle und sie funktioniert auf einer unbewussten Ebene. Man muss nichts sagen und das reicht: Einfach Musik zusammen zu machen, die alle verstehen – Das war‘s! Man muss nicht laut schreien: „Wir sind Iraner, wir sind Israelis, wir wollen das und das! Und das Lied ist ein Demolied.“ Diese politische Ebene – das lassen wir den Politikern. Natürlich sind wir ein politisches Projekt, aber wir denken darüber nicht nach. Durch diese Kunst des Zusammenmachens, durch die Kunst, die zusammen entsteht, können wir viel stärkere Aussagen treffen, stärker als Gespräche oder Vorträge.
Merkt ihr im Alltag, dass die israelische und iranische Musik ähnlich ist? Gibt es da Einflüsse auf der musikalischen Ebene? Oder im Alltag: Gibt es ähnliche Wörter in Euren Sprachen?
Yuval: Wegen den Wörtern, ja, zum Beispiel das Wort „Erdbeere“ ist ein bisschen ähnlich. Und auch ein paar ähnliche Schimpfworte (lacht). Es ist immer spannend, wenn wir entdecken „Och, wir haben die gleiche oder fast die gleiche Bezeichnung für ein Wort“. Wegen der Musik: Ich habe entdeckt, dass es in der persischen Musik viele orientalische Einflüsse gibt. Und bei der jüdischen sephardischen Musik, die ich davor nicht so gut kannte, gibt es viele orientalische Einflüsse. Ashkenazi und Klezmer Musik – da gibt es weniger Ähnlichkeiten. Aber in der sephardischen Musik fühlen sich die Iraner manchmal zu Hause, weil man häufig auch da spanische Gitarren oder Tonleiter hören kann. Kulturell ist irgendwie lustig, weil wir alle Ausländer sind. Und dadurch, dass wir nicht zu diesem Land gehören, obwohl wir uns hier total wohl fühlen und dieses Projekt nur in Deutschland entstehen könnte, sagen wir manchmal „Ach ja, aber die Deutschen sind so und so…“ Und wir kommen beide aus den Ländern, wo die Regeln und Gesetze nicht immer so präzise verstanden werden (lacht). Das hat Vorteile und bringt uns näher.
Babak: Ja, in Deutschland hat man ein sehr großes Bedürfnis nach Sicherheit, man muss alles planbar machen und darf zulasten der Spontanität keine Risiken eingehen. Das Leben ist dann nicht so interessant, spontan und lustig.
Dürft ihr in Israel oder im Iran auftreten?
Babak: Im Iran ist das unmöglich, weil man mit israelischem Pass nicht in den Iran einreisen darf. Schon aus formellen Gründen ist ein Konzert im Iran nicht machbar. Wenn ein Israeli einen anderen Pass hat, wäre das theoretisch möglich. Aber in dem Moment, in dem an der Grenze festgestellt wird, dass du auch die israelische Staatsangehörigkeit hast, wirst du im Gefängnis als perfekte Geisel landen.
Yuval: Ja, wenn ein Iraner einfach nach Israel ohne Grund kommt, wird er bestimmt gefragt, was er hier macht. Deshalb muss alles vorher diplomatisch geklärt werden. Ich habe auch gehört, dass ein Clown nach Palästina kommen wollte und die israelischen Sicherheitsbehörden haben gesagt: „Nein, Clowns sind gefährlich.“ Wenn sie wollen, lassen sie dich rein; wenn nicht, dann nicht. Unser Traum ist auf jeden Fall eine Tournee in Israel und im Iran. Aber um realistisch zu denken: Das ist erstmal vielleicht in Israel machbar und wir versuchen, etwas zu organisieren. Aber auch wenn wir alles organisieren, müssen wir trotzdem checken, ob die offizielle Einladung da ist. Wenn die Iraner einen deutschen Pass haben, ist das natürlich leichter. Aber der Wunsch ist auf jeden Fall da. Und wir haben auch konkret etwas unternommen. Wir hoffen, wenn wir etwas mehr wissen, können wir das dann öffentlich mitteilen. Ob der Iran das erlauben will, mal sehen. Ich bin immer noch optimistisch. Vielleicht sagt der Iran nach der Tournee in Israel: „Wir wollen die auch haben (lacht).“
Was wünscht ihr Euch von dem Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“?
Yuval: Ich bin nach Deutschland mit der Überzeugung gekommen, dass sich die Geschichte nicht wiederholen wird. Ich bin auch sehr glücklich in Deutschland und lebe sehr gerne in Berlin. Auch die Resonanz auf unsere Konzerte ist großartig. Aber trotzdem gibt es in Deutschland Menschen, die die alten Muster haben. Ich wünsche mir einfach, dass dieses Land die Toleranz lernt und akzeptiert. Die Mehrheit ist tolerant, aber es gibt manchmal Tendenzen… Hass und Antidialog sind leider immer präsent. In unserem Projekt geht es um die Zusammenarbeit und ich wünsche mir, dass die Deutschen mit Muslimen, Juden, mit Polen und Frankreich etc. mehr reden. Es gibt einfach so viel Hass und Nationalismus… Das verstehe ich nicht, dass das in diesem Land passiert. Es gibt noch viel zu tun. Das ist schade, aber es ist besser, dass man das jetzt entdeckt und darüber spricht als zu warten, bis es zu spät ist.
Babak: Als jemand, der jüdische Geschichte studiert hat, würde ich auch gerne etwas hinzufügen. Aufgrund der historischen Erfahrung ist die aktuelle Lage sehr ernst zu nehmen, wenn man in die Vergangenheit aber auch in die Gegenwart schaut. Von daher denke ich, dass man dieses Jubiläumsjahr nutzt, um wirkliche Probleme des jüdischen Lebens in Deutschland anzugehen. Ich denke hier an den wachsenden Antisemitismus, d.h. dort muss man unglaublich viel tun und die gesamte Bevölkerung für dieses Phänomen sensibilisieren, und zwar in der Bildung. Wir haben im Großen und Ganzen mit zwei Arten des Antisemitismus zu tun: Das erste ist die rechtsextreme Variante, aber es gibt natürlich auch den neuen Antisemitismus wegen der Migration aus muslimischen Ländern. Daher muss man in die muslimischen Gemeinden und in den Schulen unter den Jugendlichen viel aktiver dieses Phänomen bekämpfen. Da wünsche ich mir viel mehr Engagement vom deutschen Staat, von der Politik, damit nicht solche Szenen passieren, wo Menschen z.B. vor der Synagoge antisemitische Parolen schreien. Das darf nicht sein. Das wäre mein Wunsch.