Greifswald

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,,Unsere Musik ist Weltmusik.” – Interview mit der Band Sistanagila Teil I

Heute stellen wir Euch die Band Sistanagila vor – die in Berlin lebenden israelischen und iranischen Musiker suchen mit ihrem Projekt den Dialog und setzen ein Zeichen gegen kulturelle Anfeindungen und Hass.

Könnt ihr bitte etwas über euch erzählen? Woher kommt ihr und wie ist diese Idee entstanden, die Band zu gründen?

Babak: Im Großen und Ganzen habe ich zwei Leben gehabt: Das erste Leben im Iran, wo ich auch aufgewachsen bin und mein Abitur gemacht habe. Dann bin ich nach Deutschland gekommen und habe Informatik studiert. Ich habe angefangen, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni zu arbeiten. Das war 2009/2010. Dann kam ein Wendepunkt für mich: Mir wurde bewusst, dass dieses Leben als Informatiker mir nicht gefällt und dass ich eigentlich etwas Anderes machen möchte. Während einer Reise nach Italien habe ich erstmals die Schönheit der italienische Sprache entdeckt. Zurück in Deutschland habe ich angefangen, Italienisch zu lernen. Zu der Zeit wurden die antisemitischen/antiisraelischen Tiraden vom damaligen iranischen Präsidenten Ahmadinedschad präsent in den Medien, deshalb habe ich die Idee entwickelt, als Gegenstimme etwas mit Israelis zu machen. Da war mir auch bewusst, dass ich etwas Musikalisches machen wollte. Und dann beginnt mein zweites Leben, d.h. ich habe die Idee mit der Musik immer wieder konkretisiert. Ich habe Musiker getroffen, — auch Yuval — und dann kam Sistanagila zustande. Ich habe auch angefangen Italianistik, jüdische Geschichte und Iranistik zu studieren und einen Master-Abschluss in Romanistik gemacht.

Wow, eine große Veränderung! Hast du schon vorher Musik gemacht?

Babak: Ich habe nie im Leben Musik gemacht, ich bin ja auch kein Musiker. Ich bin in der Gruppe vor allem für Management und Organisation zuständig. Ich komme aber aus einer musikalischen Familie. Es gab immer diesen musikalischen Bezug durch meine Familie und das Interesse an Kultur und Kunst war immer da. Aber Informatik war natürlich ein vorgezeichneter Weg für mich. Im Iran hat man als jemand, der etwas Ernsthaftes im Leben machen möchte, nur folgende Wahl: Arzt zu werden oder ein Ingenieur zu sein. Alles andere ist natürlich nicht seriös. Und als Jugendlicher habe ich kein Bewusstsein dafür gehabt, dass man eigentlich noch viele andere Sachen machen kann.

Yuval, wie war das bei Dir?

Yuval: In Israel ist es genauso! Der Klassiker ist, dass das Kind entweder Arzt oder Anwalt (lacht) ist. Meine Mutter war Ärztin, deswegen hat sie gesagt: „Bitte werde kein Arzt!“. Aber dass ich Musiker werde, war wahrscheinlich nicht ihr Plan! (lacht) Ich bin in Israel geboren und habe Musik spät entdeckt: Erst auf dem Gymnasium als ich Komposition kennengelernt habe. Ich habe immer in einem Chor gesungen. Nach meinem Militärdienst habe ich entschieden: Ich will weiter Komposition studieren. Ich bin nach Holland gegangen, nach Den Haag und habe meinen Bachelor in zeitgenössischer Komposition gemacht und auch da meine Frau kennengelernt. Sie hat dann in Berlin studiert und so bin ich auch nach Berlin gekommen. Seit 2006 bin ich in Berlin. Und Babak hat mich damals kontaktiert. Das war seine Idee, diese Gruppe zu gründen.

Wo habt ihr Euch dann kennengelernt? Wie ist die Band Sistanagila entstanden?

Yuval: Damals gab es noch Couchsurfing und wir waren da beide aktiv. Plötzlich bekam ich eine Nachricht von Babak: „Hey, ich komme aus dem Iran und ich will Künstler zusammenbringen: Iraner und Israelis. Ich kenne die Iraner, du sollst Israelis bringen“ (lacht). Meine ganze israelische Paranoia rund um Hisbollah kam raus (lacht). Ich habe ihn gegoogelt, zum Glück haben wir uns getroffen und er hat mir von seiner Idee erzählt. Die Idee fand ich super, aber um die Idee umzusetzen musste man schon einen Weg finden: zwei unterschiedliche Kulturen, die theoretisch nicht zusammengekommen sind in den letzten 30 Jahren. Und das war mein Weg zu Sistanagila. In Berlin arbeite ich in der Neuköllner Oper und bin musikalischer Leiter von dem Jungen Ensemble und komponiere Musicals. Und durch Sistanagila habe ich Gesang wiederentdeckt.

Und woher kommt der Name „Sistanagila“?

Yuval: Ganz am Anfang habe ich zu Babak gesagt: „Ich kenne iranische Musik nicht so gut, Babak, kannst Du mir ein paar iranische Musikstücke schicken?“ Und eins dieser Stücke war ein sehr rhythmisches Stück aus einer Provinz im Iran – Sistan. Und ich fand den Rhythmus sehr inspirierend. Ich habe ein Stück geschrieben mit jüdischer Tonleiter basierend auf „Hava Nagila“ aber rhythmisch basierend auf Sistans Volksmusik. Dann habe ich einfach „Sistan“ und „nagila“ verbunden und daraus kam einfach „Sistanagila“. Das Stück hat seine kurze Zeit auf der Bühne erlebt, es war einfach zu komplex und irgendwann haben die Musiker gesagt: „Wir wollen nicht mehr dieses Stück spielen. Aber als jemand uns gefragt hat: „Wie heißt die Band?“ hat ein Musiker gesagt „Sistanagila“. Wir fanden alle, dass das Wort sehr gut klingt. Aber wir haben früher nie gedacht: „Jaaa! Das ist jetzt der Name für unsere Band!“ Aber letztendlich ist das Wort zu unserem Bandnamen geworden (lacht).

Welche Musik spielt ihr? Wie versucht ihr das Israelische mit dem Iranischen zu verbinden?

Yuval: Unsere Musik ist Weltmusik. Das ist auf jeden Fall keine klassische Konzertmusik. Das ist kein richtiger Jazz. Auch nicht so Pop. Aber alle diese Elemente kommen in unserer Musik vor. Ich komme aus der Welt der klassischen Musik. Der Saxophonist und der Bassist kommen aus der Jazz-Szene. Unser Gitarrist kommt aus der Heavy Metal-Szene. Unser Trommler kommt aus der klassischen persischen Musikszene. Jeder hat seinen musikalischen Hintergrund. Wir schreiben unsere eigenen Stücke, in denen wir alle diese Elemente verbinden. Aber das kann auch Tango oder Techno-Musik sein oder ein deutsches Volkslied. Das Material muss jetzt nicht unbedingt persisch oder jüdisch sein. Dadurch aber, dass wir unsere Hintergründe in die Musik bringen, wird die Musik jüdisch und persisch. Am Anfang haben wir richtig persische oder jüdische Stücke genommen und gespielt. Jetzt machen wir einfach ein neues Arrangement. Uns geht es nicht darum, die historisch korrekte Originalfassung zu spielen, sondern eine neue Bearbeitung, wo wir unsere Einflüsse reinbringen: Jazz, Pop, Klassik und traditionelle Elemente. Es ist ein bisschen eine Fusion von Musikarten: Es gibt Stücke wo es mehr Weltmusik gibt oder Stücke, die mehr Jazz-Einflüsse haben. Deshalb hat unsere Musik jüdische, persische und neukomponierte Stücke. Und dadurch, dass jeder mit seinem Hintergrund kommt, wird diese Musik von der iranischen und jüdischen Kultur beeinflusst. Die Komposition sieht bei uns aus wie in jeder Band: Man trifft sich und jemand kommt mit einer Idee „Vielleicht können wir das so machen“. Der Unterschied bei uns ist, es ist sehr wichtig die jüdischen und iranischen Elemente zu integrieren, weil wir das interessant finden. Als Beispiel: ganz am Anfang, während des zweiten Konzerts, war die Idee „Hava Nagila“ zu spielen. Alle Israelis haben gesagt: „Neeein, bitte nicht wieder Hava Nagila!“ (lacht) Und alle Iraner haben gesagt: „Was?! So ein schönes Stück, wir müssen das unbedingt spielen!“ Das ist genau das Interessante in unserer Band: Israelis finden die iranische Musik total spannend und die Iraner finden die israelische Musik sehr spannend. Das, was man nicht kennt, ist viel spannender als das, was man kennt. Die israelische Musik ist nie in der Fassung, die in Israel entstehen würde und die persische Musik hat die Einflüsse von jüdischen Musikern.

Ende Teil I