Greifswald

Partnerschaft für Demokratie

Interview zum Schabbat: „Wir hatten hier keine Juden…“ – Interview mit dem Initiator des Projektes „Juden in Mecklenburg“, Teil III

Heute präsentieren wir Euch den dritten und letzten Teil des Interviews mit Jürgen Gremenz. Wir wünschen Euch eine angenehme Lektüre!

Partnerschaft für Demokratie: Was kann man machen, um die Spuren des jüdischen Lebens in Mecklenburg vor dem Vergessen zu bewahren?

Wir glauben, dass da schon so Einiges getan wird. Besonders freut uns immer wieder, wenn sich Menschen vor Ort
um Stolpersteinverlegungen kümmern und im Rahmen dessen zu ganz konkreten Familien recherchieren. Und noch mehr freut uns,
wenn das Schulklassen tun. Da gibt es engagierte Lehrer in Mecklenburg, die ihre Klassen dazu motivieren.
Wir denken, dass das der beste Weg ist, den Nationalsozialismus, den Holocaust und die Lehren daraus nicht in Vergessenheit
geraten zu lassen.
Wenn Jugendliche wirklich selbst aus den Dokumenten in Archiven die ganz konkreten Schicksale lesen,
rückt das unter Umständen in der eigenen Familie kolportierte Geschichten zurecht und hat meist eine eindrücklichere Wirkung,
als wenn man das ohne praktischen Bezug in Büchern liest oder in Filmen sieht.
Es ist etwas ganz Anderes, wenn man die konkreten Anordnungen an die jüdischen Familien vor Ort selbst im Original mit dem Tonfall der damaligen Zeit liest,
als ihnen die Radios verboten, die Führerscheine eingezogen, Ausgangssperren verhängt, ihre Kinder von der Schule verwiesen oder ein Studium verweigert,
sie aus ihren eigenen Geschäften gedrängt oder mit Berufsverbot belegt wurden, sie “Sühnegelder” und Vermögensabgaben als “Reparationen”
bezahlen mussten, inhaftiert und unter Druck gesetzt und schließlich entweder ihre Staatsbürgerschaft entzogen wurde und sie innerhalb kürzester Zeit nur mit dem Nötigsten flüchten mussten oder
sie die Aufforderung zum Transport in den Osten erhielten und von dort nie wiederkehrten,
und das alles nur, weil sie angeblich eine andere “Rasse” hatten.

Die größte Hilfe ist damit eigentlich, wenn Freiwillige die Stadtarchiven nach Fakten durchstöbern und diese dann auch dokumentieren und veröffentlichen, als Aufsatz, Buch oder im Internet,
egal wie.
Auch die Stolpersteine sind ein guter Weg, die Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren.
Sie sind zwar durchaus nicht unumstritten unter Nachkommen der Holocaustopfer. Bei all den nachvollziehbaren Argumenten halten
wir sie trotzdem für das richtige Mittel, um an die Menschen zu erinnern und auch, um den unglaublichen Umfang
der Verfolgung im Nationalsozialismus und damit die Auswirkungen von rassistischen Ideologien zu zeigen.
Nicht zuletzt sollten Gebäude mit jüdischen Bezug bewahrt werden. Für die Erhaltung der Synagogengebäude wurde und wird bereits viel getan.
Bei den jüdischen Friedhöfe sieht das wohl nicht ganz so gut aus. Diese verschwinden wortwörtlich, so unglaublich das auch klingen mag.
Davon abgesehen, dass diese insbesondere nach dem Kriegsende bis in die heutige Zeit unfassbar oft geschändet wurden,
können wir bei einigen Friedhöfen auch belegen, dass Gräber und Grabsteine seit dem Kriegsende,
abgesehen von den Verwüstungen bei Schändungen, einfach so und nicht nachvollziehbar verschwunden sind.
Hier müsste deutlich mehr zum Schutz und zur Erhaltung getan werden.

Partnerschaft für Demokratie: Gibt es Ideen, das Projekt z.B. geografisch um „Vorpommern“ zu erweitern?

Im Moment nicht. Nicht, weil uns das geographisch nicht interessieren würde, ganz im Gegenteil:
die Mecklenburger Juden hatten natürlich schon immer viele Bezüge nach Pommern, das zeigt auch unser Mecklenburger Stammbaum.
Ausschließlich Vorpommern bzw. Vorderpommern den Forschungen zu Grunde zu legen, wäre hier natürlich nur wieder
die halbe Wahrheit. Man könnte sicherlich bei unseren polnischen Nachbarn viele Unterstützer finden,
die ihren Teil zu Hinterpommern beitragen würden, insbesondere auch deshalb, weil uns die Digitalisierung der Archive in Polen
deutlich fortgeschrittener erscheint.
Vom Umfang und auch vom finanziellen Aspekt her wäre das aber von uns allein niemals zu stemmen.
Wir haben bereits den Raum Mecklenburg völlig unterschätzt. Hätten wir den zeitlichen und nicht zuletzt finanziellen Umfang
vorher gewusst, wer weiß, ob wir uns das zugetraut hätten.
Etwas anders wäre es, wenn die Dokumente in den Stadtarchiven systematisch digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht werden würden.
Dazu scheint es aber möglicherweise am Willen und ganz sicher an den personellen und finanziellen Mitteln in den Kommunen zu mangeln,
die das ohne erhebliche Unterstützung durch das Land wohl nicht umsetzen könnten.
Natürlich fördert das Land Mecklenburg-Vorpommern schon einige Projekte zur jüdischen Geschichte,
diese leisten großartige Dinge, vor allem in der pädagogischen Arbeit. Diese Projekte sind aber meist nur regional beschränkt
und sind aus unserer Sicht auch zu wenig miteinander vernetzt und digitalisiert. Will man eine umfassende Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in Mecklenburg-Vorpommern,
müsste das Land in diesem Punkt umdenken und die Digitalisierung der Archive einschließlich der Landeshauptarchive
deutlich vorantreiben. Das würde auch der gesamten Geschichtsforschung einen enormen Schub geben und darüber hinaus
die Stadtarchive von Anfragerecherchen entlasten. Man wird ja noch träumen dürfen 😉