Greifswald

Partnerschaft für Demokratie

Interview zum Schabbat: „Wir hatten hier keine Juden…“ – Interview mit dem Initiator des Projektes „Juden in Mecklenburg“, Teil II

Partnerschaft für Demokratie: Wie erforschen Sie die Geschichte der Juden in Mecklenburg? Ist das eine einfache oder schwierige Aufgabe?

Wir haben dazu drei wichtige Quellen: die Mecklenburger Landeshaupt- und Stadtarchive, Aufsätze, Bücher und Dokumentationen (da gab es bereits seit dem 19. Jahrhundert immer wieder großartige Arbeiten von Mecklenburger Juden und Nicht-Juden, die sich aus unterschiedlichen Gründen mit der jüdischen Geschichte Mecklenburgs befassten) und die wohl wichtigste: Überlebende des Holocaust und deren Nachfahren. Ohne einen gewissen detektivischen Spürsinn und gesundem Misstrauen bei Familienüberlieferungen geht da fast nichts. So schwer das auch manchmal ist, bringt es aber gelegentlich auch Genugtuung: Wir konnten bereits so einige Nachfahren wieder zusammenbringen, deren Familien durch den Holocaust auseinandergetrieben wurden und die dadurch nichts von einander wussten. Die Kehrseite unserer Recherchen ist aber leider auch, dass Spuren von Menschen, die wir nachverfolgen, immer und immer wieder in Auschwitz, Treblinka, Sobibor und all den anderen Vernichtungslagern enden. Und nicht zuletzt muss man neben diesen wirklich schockierenden Schicksalen auch immer wieder Geschichten darüber lesen, wie Nachbarn oder Geschäftspartner zum eigenen Vorteil und ohne eigene Not ihre jüdischen Mitmenschen schlicht an’s Messer lieferten. Im Gegensatz zu einigen KZ-Führern und -Wächtern wurden die Allermeisten von diesen nie in irgendeiner Weise, geschweige denn juristisch, zur Rechenschaft gezogen.

Partnerschaft für Demokratie: Wenn sich jemand auf die Spuren des jüdischen Lebens in Mecklenburg begeben möchte, was würden Sie der Person raten?

Fahrt hin! Mecklenburg ist ja ohnehin schön. Davon abgesehen gibt es einige ganz wichtige Anlaufpunkte in Mecklenburg, wenn man sich über das ehemalige jüdische Leben informieren möchte: das Max-Samuel-Haus in Rostock, der Engelsche Hof und die Alte Synagoge Röbel, das Hanna-Meinungen-Haus und die Alte Synagoge Hagenow, die Alte Synagoge Krakow, die Synagoge in Stavenhagen und noch einige mehr.

Trotzdem kann das natürlich nicht eigene Vor-Ort-Recherchen ersetzen. Es gibt noch einige wenige Zeugnisse in den Städten, neben den Synagogen, die die Novemberpogrome 1938 einigermaßen unbeschadet überstanden und später nicht zwangsveräußert wurden, natürlich noch die jüdischen Friedhöfe, manche sind ausgesprochen malerisch.
Das Kronjuwel der jüdischen Geschichte Mecklenburgs aber ist in Parchim zu finden: die Grabsteine des alten jüdischen Friedhofs aus dem 14. Jahrhundert, die allesamt bis auf einen im Stadtarchiv Parchim und einem im Hanna-Meinungen-Haus in Hagenow, ausgerechnet im Gemäuer der St. Marienkirche, also einem christlichen Gotteshaus, verbaut sind. Der Stein im Parchimer Stadtarchiv steht im Freien und ist der Witterung ausgesetzt und die Steine in der Kirche sind teilweise nur richtig einsehbar, wenn man zahlreiche Stühle beiseite räumt.
Man stelle sich nur vor, was die ehemaligen Inhaber der Grabsteine heute dazu sagen würden! Natürlich ist die Verbauung der Steine in der Kirche historischen Ursprungs, dennoch würden wir uns hier wirklich wünschen, dass eine, der geschichtlichen Bedeutung der Grabsteine angemessenere und würdigere Lösung gefunden werden könnte.

Sogar wenn es keine solchen fassbaren Zeugnisse jüdischer Kultur in der jeweiligen Stadt gibt,
ist ein Besuch im Stadtarchiv immer lohnenswert. Die Stadtarchive sind als Gedächtnisse der Orte aus unserer Sicht der wichtigste Anlaufpunkt überhaupt, eigentlich ja eine Binsenweisheit. Auch wenn die Akten dort nicht überall ein vollständiges Bild hergeben, ermöglichen sie doch einen Überblick über die damaligen Verhältnisse vor Ort, von absoluten Banalitäten und Anekdoten über Verwandtschafts-, Besitz- und Geschäftsverhältnisse bis hin zu echten Tragödien.

Wer noch mehr wissen will, sollte versuchen, mit Nachfahren der Mecklenburger Juden in Kontakt zu treten.
Das Internet ist in dem Punkt eine Goldgrube, wir haben da schon unglaubliche Zufälle erlebt.
Es lohnt sich fast immer, nicht so schnell aufzugeben.