Greifswald

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Interview zum Schabbat: Das Gespräch mit Landesrabbiner Yuriy Kadnykov, Teil II

Heute veröffentlichen wir den zweiten Teil des Interviews mit Landesrabbiner Yuriy Kadnykov. Diese Woche geht es u.a. um die Ähnlichkeiten zwischen Sprachen. Wir wünschen Euch eine angenehme Lektüre!

Aleksandra Brandt: Ich habe manchmal den Eindruck, dass man häufig über „das Judentum“ spricht, die Religion ist aber sehr vielfältig. Es gibt und gab viele Menschen jüdischen Glaubens, die z.B. in arabischen Ländern gewohnt haben; es gibt Menschen, die in europäischen Ländern gewohnt haben und wohnen, und sie hatten und haben unterschiedliche Erfahrungen, daher wundert mich z.B. sehr ein Stereotyp, dass jeder Jude oder Jüdin hebräisch spricht. Wir wissen viel über das Christentum, aber über die jüdische Tradition weiß man tatsächlich – wie Sie im ersten Teil gesagt haben – sehr wenig.

Genau, deshalb gibt es ein großer Nachholbedarf. Man sollte schon reflektieren: „Aha, im Christentun gibt es verschiedene große Strömungen: Katholizismus, Orthodoxe oder Evangelische Kirche etc., das gleiche gilt auch für das Judentum.“ Und so wie Sie richtig sagen: Sobald die Menschen in unterschiedlichen Ländern gelebt haben, so sind sie unterschiedlich geprägt. Zum Beispiel viele Juden, die hier im deutschsprachigen Raum gelebt haben, haben Jiddisch gesprochen. Später zogen zahlreiche nach Polen ins damalige „Rzeczpospolita“ nach Krakau und haben viele slawischen Wörter in das Jiddische reingemischt. Und so besteht die Jiddische Sprache aus einem kleinen Kern hebräischer und aramäischer Wörter, ein größerer Teil aus dem Deutschen und aus den slawischen Sprachen.

Aleksandra Brandt: Das stimme ich völlig zu. Als Jugendliche habe ich entdeckt, dass die Wörter, die in meiner Familie, die polnische und ukrainische Wurzel hat, als völlig selbstverständlich galten (z.B. „Mischugge“) nicht alle verstehen.

Richtig, die jüdischen Gemeinden haben mit Polen gute Beziehungen gepflegt. So hat man auch das Wort „Polin“ interpretiert, das heißt nämlich „po“ – auf Jiddisch „hier“ und „lin“ „wohnt“. Die meisten Juden, die während der Shoah ermordet wurden, lebten auch auf dem polnischen Gebiet. Nach der letzten Teilung Polens im Jahre 1795 kamen fast ein Million Menschen jüdischen Glaubens in den Bereich von Preußen und ungefähr die gleiche Anzahl in das russische Reich und Österreich-Ungarn.

Aber bis zu dieser Zeit gab es eine gewisse Blütezeit, weil die Juden sich vieler Privilegien durch den polnischen König in der Republik erfreuten, daher haben sich viele Juden gerne da angesiedelt.

Aleksandra Brandt: Was ich sagen möchte, dass so wie der Mensch von vielen verschiedenen Sprachen, Strömungen und Erfahrungen geprägt ist, so vielfältig ist auch das Judentum, oder?

Ja, in der Tat, in diesen 4000 Jahren gab es unterschiedliche Prägungen. Im Judentum gibt es so eine Regel: Wenn etwas aus einer anderen Kultur uns nicht widerspricht, wird das gern aufgenommen, z.B. die Kopfbedeckung, die die jüdischen Männer alltäglich oder während des Gebetes tragen, d.h. Kippa oder Jarmulke, das kommt aus Babylonien. In Bagdad existierte bis zu 40er Jahren des letzten Jahrhunderts die älteste jüdische Gemeinde. „Keine gläubige Person darf ohne Kopfbedeckung gehen“, so haben dies unsere Weisen noch aus Babylonien aufgenommen und jetzt ist das ein Teil des jüdischen Lebens, dass man eine Kopfbedeckung trägt, obwohl das nicht unserer eigenen Tradition entspricht. Es gibt diese Einflüsse in unterschiedlichen Bereichen, z.B. die Juden, die in arabischen Ländern wohnen nennen Gott „Allah“, weil die arabische Sprache ihre erste Sprache ist. Das Hebräische wird, klar auch während des Gebetes, verwendet, aber das war immer die Sprache, die den Menschen aus verschiedenen Ländern geholfen hat, eine Brücke zu bauen wie Latein bei Katholiken.

Aleksandra Brandt: Für mich ist aus sehr interessant, dass das Arabische und Hebräische aus der gleichen Sprachgruppe stammt, daher gibt es sehr viele Ähnlichkeiten: z.B. die Wörter wie „Haus“ oder „Hand“ klingen auf Arabisch und Hebräisch fast gleich. Was ich meine, man kann auch durch die Sprache viele Ähnlichkeiten sehen und auch darauf kann die Verständigung basieren.

Ja, auf jeden Fall, semitische Sprachen, z.B. die Araber sagen „salam aleikum“ und auf Hebräisch „schalom aleichem“, das sind die gleichen Buchstaben aber anders ausgesprochen und die semantische Bedeutung ist ähnlich. Genauso wie das Polnische, Ukrainische und Russische ähnliche Wurzeln haben. Die Sprache hilft uns näher zu kommen, hilft Brücken zwischen Individuen aufzubauen und Trennendes zu überwinden. Und das ist auch ein wichtiger Baustein der politischen Bildung: Auf das gemeinsame Vokabular zu schauen, weil die Menschen mit einem einzelnen Wort eine andere Bedeutung assoziieren könnten und so kommt es zu Missverständnissen. Und das ist auch etwas, woran wir arbeiten müssen. Unsere politische Landschaft hat sich seit 2015 sehr verändert und wir sehen wie die Gesellschaft gespalten ist. Es gibt für uns viele Aufgaben, die wir erledigen müssen. Es gibt so viele unterschiedliche Lager: links, rechts, Mitte, Islamismus… Wir müssen Menschen aus ihren Extremen holen. Zwischen den „Lagern“ haben wir Menschen, die gemeinsam gut leben. Das Judentum steht z.B. näher zum Islam als zum Christentum, weil die hellenistische Vorstellung von der Welt das Christentum stärker geprägt hat. Das moderne Judentum hat viele Einflüsse und ich denke das betrifft jede der Religionen und jede Kultur.