Greifswald

Partnerschaft für Demokratie

„Ich bin ein Israeli mit Integrationshintergrund.“ – Interview mit dem Rapper Ben Salomo, Teil III

Die Hip-Hop-Szene ist sehr spezifisch. Ich denke hier beispielsweise an Frauenbeleidigungen oder Antisemitismus… denkst Du, dass das eine pure Provokation ist, ein fester Bestandteil oder möchten die Rapper und Sänger um jeden Preis in den Medien sein? Ich denke hier zum Beispiel an Xavier Naidoo.

Ich würde erstmal zwischen Hip-Hop und Rap unterscheiden, weil Hip-Hop mehr als nur Rap ist. Hip-Hop ist Tanzen, Rappen, Musizieren und Sprühen. Im Hip-Hop steckt auch eine Philosophie und in dieser Philosophie ist die Verachtung und Herabwürdigung von Menschen eigentlich nicht Teil des Konzepts. Aber Rap wurde – würde ich sagen – mit der Zeit gekidnappt von Protagonisten, die kontinuierlich problematische Inhalte transportiert haben, weil sie teilweise erkannten, dass es dafür einen wunderbaren Markt gibt, der sie auch finanziert. Dieses Kidnapping findet nun schon sehr viele Jahre statt und es gibt inzwischen eine gigantische Fanbase dafür. Es ist auch sehr schwer die Industrie davon zu überzeugen, dass andere Inhalte auch eine Fanbase haben, vor allem deshalb, weil diese anderen Inhalte ein bisschen mehr „Promotion“-Aufwand benötigen würden. Wohingegen diese Frauen-Verachtung, die toxische Männlichkeit und die Gangsternarrative bei Pubertierenden Jungs einfach etwas ist, was sie fasziniert, weil es häufig das Gegenteil von ihrer eigenen und oftmals langweiligen Realität ist. Das sind nur einige von mehreren Faktoren.

Wir dürfen nicht so naiv sein. Aussagen von Leuten wie Xavier Naidoo, Kollegah usw. sind nicht nur plumpe Provokationen. Dahinter steckt Kalkül und eine schleichende Radikalisierung, die irgendwann dann so manifest geworden ist, dass sie ihren Weg nach außen gefunden hat. Das hat nichts damit zu tun, dass diese Sänger oder Rapper ihre Relevanz verloren hätten und mit Negativschlagzeilen versuchen Aufmerksamkeit zu generieren. Die Ursache liegt woanders. Diese Künstler haben sich mit den Jahren einfach in ein ideologisches Verschwörungskonstrukt hineinbegeben und sind in diesem Labyrinth der Mythen und „alternativen Fakten“ ein paar Mal zu oft rechts abgebogen. Seitdem kommen sie da nicht mehr raus und sind davon überzeugt. Dazu kommen Scharen verschwörungsgläubiger Menschen aus ihrer eigenen Fanbase, die sie in ihrem schiefen antisemitischen Weltbild, wie in einer Echokammer, bestärken. Das sehen wir auch bei Künstlern wie Roger Waters, dem Pink Floyd Mitbegründer, der auch ein prominenter BDS-Aktivist ist. Wir beobachten solche Entwicklungen inzwischen bei sehr vielen internationalen Künstlern, die insbesondere mit diesem Israelbezogenen Antisemitismus auffallen. In weiten Teilen der deutschen Rap-Szene sehen wir das leider auch vermehrt, auffallend häufig mit verschiedenen verschwörungsideologischen Bezügen. Artikuliert werden diese problematischen Inhalte oftmals von Protagonisten, die in gewissen migrantischen Milieus sozialisiert wurden, in denen viele Narrative aus den Herkunftsländern kursieren. Antisemitismus und Israelhass sind in diesen Herkunftsländern seit Jahrzehnten Teil des Bildungssystems und des Medienangebots, wodurch antisemitische Feind- und Zerrbilder bis heute in vielen Familien tradiert und unreflektiert übernommen wurden. Wenn man so aufwächst und so sozialisiert wird, dann sind antisemitische Ressentiments und ein antisemitisches Weltbild häufig das Resultat. Das hat auch der Rapper Haftbefehl in einem Interview zugegeben:

Zitat: „Ich bin unter Türken und Arabern aufgewachsen. Da werden Juden nicht gemocht. Es gibt ja auch keine dort. Ich will Ihnen verraten, wie ein 16-jähriger Offenbacher tickt: Für den ist alles, was mächtig ist und reich, aus seiner beschränkten Sicht jüdisch.“

https://www.welt.de/kultur/pop/article134638230/Ich-bin-genauso-deutsch-wie-mein-Nachbar-Marius.html

Wenn wir uns diese Aussage vor Augen halten und uns gleichzeitig die Welt anschauen, stellen wir fest, dass die Welt leider viele Probleme hat: Elend, Hunger, Kriege und so weiter, dann kann man sehr schnell weitergehen und sagen: An dem ganzen Elend, den Kriegen, der Armut etc. sind die mächtigen Eliten schuld, und die sind ja am Ende angeblich alle wieder jüdisch. Das führt uns ziemlich direkt zu Bestandteilen der Ideologie der Nationalsozialisten: Sie haben mehr oder weniger ähnlich gedacht und es dadurch geschafft die deutsche Gesellschaft und viele Menschen in Europa so zu manipulieren, dass der Antisemitismus zu einem regelrechten kollektiven Wahn geworden ist. Es ist kein Zufall, dass wir Versatzstücke dieser Erzählungen in dem von Haftbefehl beschriebenen Milieu vorfinden. Die arabische und die muslimische Welt waren während des 2. Weltkrieges und noch lange nach 1945 mit der Propaganda der Nationalsozialisten in Kontakt. Die Nazis haben sehr viel Geld investiert, um die arabische Welt mit Nazipropaganda auf Arabisch zu überfluten. Dazu gibt es viele Publikationen. Der Großmufti von Jerusalem Amin al Husseini, eine sehr berühmte und geachtete Persönlichkeit im Nahen Osten seinerzeit und auch noch in der Gegenwart, war ein guter Freund Adolf Hitlers und befehligte eine eigene muslimische SS Division. Er persönlich hat aus Südberlin mithilfe des Radiosender „Zeesen“ arabischsprachige Propaganda gegen Juden von Deutschland aus in die arabische Welt ausgestrahlt. Das war damals immerhin der stärkste Radiosender der Welt. Diese Nazipropaganda blieb haften und wurde auch nach dem Zusammenbruch Nazideutschlands in der arabischen Welt kultiviert und weiterentwickelt. Sie ist auch heute ein Grund dafür, warum viele Menschen mit diesem Hintergrund – natürlich nicht alle! – diese Narrative reproduzieren. Wenn man mich fragt: Ist der Antisemitismus, den wir heute in Deutschland haben ein zugezogener oder ist das weiterhin der Antisemitismus von rechts, den wir ja alle kennen? Dann sage ich: Dieser Antisemitismus, den wir heute in Deutschland, in Europa und weltweit erleben, ist ein „recycelter“ Antisemitismus. Deutschland ist eine gigantische Recycling-Anlage für Antisemitismus! Auf der einen Seite wurde nicht wirklich aufgearbeitet, was man hier verbrochen hat, die Tätergeneration (sprich die Ur- und Großeltern) haben größtenteils geschwiegen oder sich selbst zu Opfern des Krieges verklärt, viele haben auch behauptet angeblich im Widerstand gewesen zu sein: Diesen Mythos glauben heute ja viele Menschen in Deutschland, aber die Forschung konnte längst beweisen, dass nur ein verschwindend kleiner Bruchteil der Deutschen tatsächlich im Widerstand gewesen ist. Wahrheit war: Vielen Deutschen war das Schicksal der Juden gleichgültig und sehr viele Deutsche waren Nazis, denn die Nazibewegung war eine ausgewachsene Massenbewegung. Nach 1945 als die Nazis den Krieg verloren haben, war es eben nur das: Die Nazis haben einfach nur den Krieg verloren. Die Naziideologie, der Antisemitismus: Das war dadurch nicht weg. Und da haben sich in der deutschen Gesellschaft weiterhin gewisse „Traditionen“ erhalten. Bestimmte antisemitische Narrative und Erzählungen wurden auch hier von einer Generation zu Nächsten weitergegeben, allmählich mit einem gewissen Deckmantel: Heute heißt es nicht mehr „Scheißjuden“, sondern „Scheißisrael“ und aus „Kauft nicht bei Juden“ wurde das „Kauft nicht bei Israel“ der BDS-Bewegung. In der arabischen und muslimischen Welt hingegen brauchte es diesen „Deckmantel“ nicht, weil der Antisemitismus dort weiterhin tabulos und institutionell ausgelebt werden konnte. Und Deutsch-Rap ist praktisch eine Art Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Verschränkungen, man könnte sagen unter einem gewissen Brennglas. Weil die Deutsch-Rap-Szene nicht wie die Volksmusik ist: Die Volksmusik hören fast nur „Biografie-Deutsche“ in einem bestimmten Alter. Deutsch-Rap hingegen hören insgesamt mehr Menschen, auch jüngere Leute, oftmals urban, multikulturell, migrantisch und muslimisch geprägt, und dementsprechend sind die Narrative, die man in diesen Milieus oftmals vorfindet mit unterschiedlichen antisemitischen Denkmustern angereichert. Für mich als Jude und Israeli in dieser Szene war das oft zu spüren – das war eine Herausforderung.

Was wünschst Du dir von dem Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben?

Nun, ich würde mir wünschen, dass insgesamt nach diesem Jubiläumsjahr endlich die jüdischen Perspektiven in den Vordergrund gerückt werden: Wenn man über Juden sprechen möchte, dann sollte man das auch mit ihnen tun, damit ihre Perspektiven endlich in den Diskurs hineingelangen können. Darüber hinaus dürfen diese Perspektiven nicht von irgendeiner Seite oder Gegenseite für eigennützige Zwecke instrumentalisiert werden. Das passiert in Deutschland leider besonders oft: Wenn die jüdischen Perspektiven reingebracht werden, sind das meistens nur diejenigen, die den Teilen der Dominanzgesellschaft schmecken. Die jüdischen Perspektiven, die Kritik gegenüber der deutschen Dominanzgesellschaft oder der deutschen Regierung bezüglich der einseitigen Behandlung Israels artikulieren, erhalten eine viel geringere mediale Plattform im Verhältnis zu den jüdischen Stimmen, die öffentlich sogenannte „israelkritische“ Positionen vertreten. Diesen anti-israelischen Stimmen wird in Deutschland seit Jahrzehnten eine große Plattform geboten, um sie als Kronzeugen gegen Israel in Stellung zu bringen. Diese einseitige Instrumentalisierung muss aufhören, die meisten Juden empfinden sie als eine undemokratische und perfide Vereinnahmung.

Ein klassisches Merkmal dafür beobachtete ich erst letzten Mai, als dieser Schlagabtausch zwischen der palästinensischen Terrororganisation Hamas und der israelischen Armee stattgefunden hat. Da gab es eine Sendung bei Maischberger: Fünf Leute wurden eingeladen, um über dieses Thema im Nahen Osten zu reden. Wie erwartet war kein einziger Israel-solidarischer Jude dabei, nicht mal irgendein Jude, dafür aber ein sehr Palästina-solidarischer Journalist mit palästinensischen Wurzeln. Man redet also über Israel und Juden aber nicht mit ihnen, sondern über sie. Aus meiner Sicht, war nur ein einziger Fachmann von der Partie, der auch die arabische Sprache beherrscht und die Region besser kennt. Der Rest der Gäste waren nur irgendwelche Random Journalisten, die weder hebräisch oder arabisch beherrschen noch tiefgründige historische Fachkenntnisse über den Konflikt vorweisen können, die über das allgemeine deutsche Gewohnheitswissen hinausgehen. Dazu noch der TV-Moderator Jörg Pilawa, der eigentlich absolut nichts mit dem Thema zu tun hat. Auf der anderen Seite war da aber dieser eingangs erwähnte Pro-Palästina Journalist Malcolm Ohanwe, das ist – meiner Meinung nach – eher ein politischer Aktivist im Tarnmantel des Journalismus, der in Teilen sogar richtige BDS-Narrative auf seinen Plattformen reproduziert, also Israel fälschlich als „Apartheid-Staat“ dämonisiert, doppelte Standards an Israel anlegt oder Israels Legitimität in Frage stellt. Solche Leute werden eingeladen, aber kein einziger Jude oder Israeli, der mit Israel solidarisch ist und seine Perspektive auf diesen Konflikt vertritt. Das ist ein großes Problem! Ich würde mir wünschen, dass das endlich aufhört und auch dass Deutschland außenpolitisch endlich aufhört, sich am antisemitischen Israel-Bashing in den Vereinten Nationen zu beteiligen. Denn diese Art und Weise der Politik ist eine antisemitische Politik. Zudem überweist Deutschland jährlich inzwischen 210 Mio. Dollar aus Steuergeldern an Organisationen wie die UNRWA, die seit Jahrzehnten in ihren Schulbüchern Antisemitismus und Israelhass propagiert und damit ganze Generationen palästinensischer Kinder vergiftet und zum Krieg gegen Israel anstachelt. Das muss unbedingt aufhören. Das darf Deutschland nicht im Namen seiner Bürger tun, wenn es nicht wieder auf der falschen Seite der Geschichte stehen möchte.