Greifswald

Partnerschaft für Demokratie

„Ich bin ein Israeli mit Integrationshintergrund.“ – Interview mit dem Rapper Ben Salomo, Teil II

Heute könnt ihr den zweiten Teil des Interviews mit Ben Salomo lesen. Wir wünschen Euch eine angenehme Lektüre!

Partnerschaft für Demokratie: Was ist Dein Lieblingsfeiertag? Und bitte sag bloß nicht Schabbat, weil … Erstens: viele sagen „Schabbat“ und zweitens: Schabbat ist doch jede Woche!

OK, dann würde ich sagen: Pessach!

Und warum?

Das Essen ist grandios an Pessach. Ich liebe Matze und alles, was mit Matze zubereitet wird, finde ich superlecker. Auch die Geschichte, die dieser Feiertag immer wieder in die Erinnerung ruft, d.h. den Auszug aus Ägypten, die Befreiung aus der Knechtschaft, finde ich sehr bewegend… Und die Geschichte über Moses, dass er dadurch zu dem Propheten wurde, der er wurde, und wie das Volk der Hebräer bzw. die Stämme der Israeliten am Berg Sinai die Torah erhielten und dadurch zu der jüdischen Nation wurden. Es steckt so viel Tiefe in diesen Erzählungen, ganze Bücher kann man darüberschreiben. Ich freue mich jedes Jahr wieder, wenn Pessach stattfindet und wir diesen Feiertag gemeinsam mit der Familie feiern.

Ich warte immer wieder, dass jemand „Chanukka“ sagt. Warum mag niemand Chanukka?

Chanukka ist auch ganz toll! Aber Chanukka ist einer der Feiertage, die nicht in der Torah wiedergegeben sind, sondern erst mit der Eroberung und anschließenden Befreiung Jerusalems von den antiken Helenen bzw. Griechen, später entstanden ist. Das ist auch ein toller Feiertag, aber ich glaube, Pessach ist von der Bedeutung her stärker, mit dem besonderen Essen, diesen ganzen Erzählungen und den verschiedenen uralten Gesängen, die man gemeinsam anstimmt. Das ist etwas ganz Besonderes! Rosch ha-Schana wäre bei mir direkt auf Platz zwei auch wieder wegen des Essens! Das jeweilige Essen zu den verschiedenen Feiertagen ist ein enorm wichtiger Bestandteil im Judentum! Meine Tochter würde aber vielleicht „Purim“ sagen, weil man sich da verkleiden kann, und das liebt jedes Kind. Es gibt so viele wunderschöne jüdische Feiertage, der Schabbat und Chanukka gehören selbstverständlich auch dazu.

Ich habe letztens erfahren, dass es in Greifswald eine Tradition gibt, Berliner zum Neujahr zu essen. Niemand konnte mir erklären, woher diese Tradition kommt. Ich spekuliere, ob diese kleine Tradition eventuell aus dem Judentum stammt.

Tatsächlich ist es bei uns nicht so, dass wir am Rosch ha-Schana (Neujahr) die Berliner essen, sondern an Chanukka. Der Grund, warum man an Chanukka insbesondere Dinge essen soll, die mit reichlich Öl zubereitet wurden, soll an das Wunder von Chanukka erinnern, als ein Kännchen mit ganz wenig geheiligtem Öl ausgereicht haben soll, um die Menora im Jerusalemer Tempel für 8 Tage zu erleuchten, gerade ausreichend Zeit, bis neues geweihtes Öl fertig war. Deshalb essen Juden allerlei dickmachende Sachen an Chanukka (lacht). Und weil Chanukka jedes Jahr im Dezember rund um Weihnachten und der Wintersonnenwende stattfindet, wurde diese uralte jüdische Tradition wahrscheinlich von den Greifswaldern zum Neujahr übernommen. Das sind wohl alte vergangene Zeugnisse des Zusammenlebens mit jüdischen Gemeinden in der Region.

Und was bedeutet für Dich einfach im Alltag jüdisch zu sein?

Ha! Und was würdest Du sagen, wenn ich fragen würde, was heißt für Dich im Alltag Polnisch oder Deutsch zu sein? Merkst Du das im Alltag?

Und warum? Ich stelle hier doch die Fragen (lacht)! Ja, manchmal merke ich das schon.

Das bringt uns eigentlich zu dem richtigen Kern der Frage, weil „Jüdisch sein“, ist nicht nur die Religion. „Jüdisch sein“ sind drei Dinge auf einmal, weil die jüdische Geschichte 3500 Jahre alt ist und in 3500 Jahren kann sich sehr viel entwickeln! Das Erste „Jüdisch sein“ begann als Hebräer und als Stamm der Israeliten. Dann besaßen sie diesen Ein-Gott-Glauben, was sie vom Glaubenssystem der meisten Menschen in der Antike und speziell in der Region des Orients unterschied. D.h. von einem ethnisch geprägten Stamm wurde zusätzlich noch eine Religionsgemeinschaft, deshalb sprechen wir inzwischen von einer ‚Ethnoreligion‘. Von dieser Ethnoreligion entstand durch die verschiedenen jüdischen Königsdynastien und Königreiche im Gebiet des heutigen Israel, die jüdische Nation. Wir sind also drei Dinge gleichzeitig: Wir sind eine ethnische Gemeinschaft also ein Volk, eine Religionsgemeinschaft und eine Nation. Für mich ist das im Alltag natürlich zu spüren. Wenn ich jetzt kein frommer religiöser Jude bin, bin ich trotzdem Jude, weil meine Mutter jüdisch war und ihre Mutter jüdisch war und das geht so Jahrhunderte zurück bis nach Judäa, wo die Juden historisch herkommen, weswegen wir auch „Juden“ heißen. Das ist etwas, was ich definitiv im Alltag spüre, in dem Sinne, dass ich mir der langen Geschichte bewusst bin. Allein hinter mir siehst du das Bild mit dem Namen „Ben Salomo“ geschrieben auf Hebräisch. Das hat ein Freund von mir für mich kalligraphiert. Mein Künstlername Ben Salomo selbst ist angelehnt an die jüdisch-biblische Tradition, den Namen seines Vaters als Nachnamen zu tragen. Sogar meine Stifte auf dem Bürotisch stecken in einer Tasse aus Israel, wo verschiedene biblische Motive und heilige Orte des Judentums abgebildet sind. Die jüdische Identität spielt bei mir auch als Künstler dementsprechend eine große Rolle. Mein „a“ im Wort „Salomo“ ist in meinem Logo der hebräische Buchstabe „Aleph“ und dieser steht numerisch für die Zahl Eins. Ich kam auf diese Idee, weil ich der erste und damals der einzige Jude in der deutschen Rap-Szene war, der seine jüdische Herkunft öffentlich zum Ausdruck hat.

Ich kann das auch an fünf fundamentalen Fragen festhalten, wie wichtig mir mein ‚jüdisch sein‘ ist. Erste Frage für mich wäre: Wünsche ich mir, dass mein Sohn jüdisch rituell beschnitten wird? Die Antwort ganz klar: Ja! Zweite Frage: Wünsche ich mir, dass meine Kinder Bar und Bat Mitzwah mit dreizehn bzw. zwölf Jahren machen? Meine Antwort: Ganz klar ja! Wünsche ich mir, dass sie eine jüdische Hochzeit feiern? Ja! Wünsche ich mir, dass auch sie jüdische Kinder haben, die auch wieder Brit Mila, Bar Mitzwah und ihre Chatuna (jüdische Hochzeit) feiern. Ja! Wünsche ich mir ein jüdisches Begräbnis, wenn ich dann irgendwann diese Welt verlasse? Ja! Das sind die wesentlichen Merkmale für mich.

Ich habe mit Rahel Dohme gesprochen, welche die jüdische Gemeinde in Hameln gegründet hat. Sie meinte, dass die Offenheit und Präsenz Schutz vor Antisemitismus seien. Würdest du ihr zustimmen oder nicht?

Ich wäre etwas vorsichtiger mit dieser Aussage, denn man könnte dadurch zur falschen Schlussfolgerung gelangen, dass der Antisemitismus ein Resultat jüdischer Verschlossenheit und Unsichtbarkeit ist. Das wäre allerdings eine totale Verdrehung von Ursache und Wirkung. Ich glaube „Offenheit und Präsenz“ ist zunächst einmal ein gesunder Umgang mit sich selbst. Ein gesunder Umgang mit sich selbst ist selbstbewusst und dementsprechend auch wehrhaft und widerstandsfähig. Diese Wehrhaftigkeit und Widerstandsfähigkeit wirken auf einige Antisemiten sicherlich abschreckend. Wie wir wissen: Antisemiten sind Feiglinge, die sich nur in einer größeren Gruppe stark fühlen und das gelingt ihnen auch nur dann, wenn ihre Hassobjekte eingeschüchtert sind und sich nicht wehren. Deswegen gebe ich ihr teilweise recht. Aber ich glaube, wenn man sagt „Offenheit und Präsenz sei das beste Mittel gegen Antisemitismus“ dann reden wir maximal von einer Wirkung einige Schritte später. Wir müssen aber ein paar Schritte zurück gehen und uns fragen „Was bedeutet das für die Betroffenen?“ Das bedeutet, dass man zunächst zu einem offenen und gesunden Umgang mit sich selbst gelangen muss. Dieser offene und gesunde Umgang mit sich selbst führt im Nachhinein dazu, dass die Antisemiten es weniger wagen, jüdische Menschen offen anzufeinden, aber es lässt den Antisemitismus nicht verschwinden. Nun müssen wir noch einen Schritt weiter zurück gehen: Denn ein emanzipierter Umgang mit sich selbst, muss den jüdischen Minderheiten in einer offenen und demokratischen Gesellschaft erstmal ermöglicht werden und da sehe ich leider die ganz großen Defizite in Deutschland. Man sieht es allein an meiner Person: Ich bin selbstbewusst, offen und präsent mit meiner jüdischen Identität, aber ich werde angefeindet ohne Ende und bekomme sogar Morddrohungen. Eine gesunde offene und demokratische Gesellschaft sollte solche Einschüchterungsversuche gegen jüdische Menschen mit allen Mitteln anprangern und zurückweisen, und sie sollte die Täter hart bestrafen. Leider passiert das viel zu selten und das macht die Antisemiten wiederum selbstbewusster. Das ist ein sich selbst befruchtender Kreislauf bzw. eine Abwärtsspirale, bei der man es sich allzu leicht machen würde, wenn man imaginiert, dass die kleine jüdische Minderheit in Deutschland es im Alleingang schaffen könnte diesen Bann zu brechen. Dazu braucht es die anständigen Menschen in der Mehrheitsgesellschaft.