Greifswald

Partnerschaft für Demokratie

“Ich bin ein Israeli mit Integrationshintergrund.” – Interview mit dem Rapper Ben Salomo, Teil I

Heute stellen wir Euch Ben Salomo vor! Er ist ein aus Israel stammender Rapper, YouTuber und Buchautor. Ben Salomo ist in Berlin aufgewachsen und gründete die Konzertreihe “Rap am Mittwoch”. Wir wünschen Euch wie immer eine angenehme Lektüre!

In einem Interview hast Du gesagt, Du bist „ein Israeli mit Integrationshintergrund“. Was heißt das?

Für mich bedeutet das, ich bin nach wie vor Israeli: Ich habe immer noch die israelische Staatsangehörigkeit und ich bin sehr verbunden mit Israel. Ich sehe Israel – obwohl ich da nur drei Jahre als Kind gelebt habe und danach nur als jemand kam, der seine Familie und Großeltern besucht hat – als ziemlich großes Stück Heimat. Aber gleichzeitig habe ich mich hier in Deutschland wunderbar integriert. Ich spreche sehr gut Deutsch, ich habe die Werte der Bundesrepublik Deutschland, der Demokratie und des Grundgesetzes verinnerlicht. Ich versuche, ein produktives und wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu sein und habe mich hier wunderbar integriert. So gut wie ich es kann. Es gab einige Widerstände: Von Deutschland aus muss ich ehrlich sagen… Davon können Menschen mit Migrationshintergrund genug reden und ich auch. Ich würde aber sagen, all diesen Dingen zum Trotz habe ich, was die Integration angeht, sicherlich gewonnen. Aber ich bleibe weiterhin Israeli.

Hast Du also eine doppelte Staatsangehörigkeit?

Nein. In vielen europäischen Ländern gibt es diese Vereinbarung, dass man ohne Probleme eine doppelte Staatsangehörigkeit haben kann. Zwischen Israel und Deutschland ist das leider etwas komplizierter. Ich will mich nicht mit der Frage herumschlagen, wenn ich jetzt die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen würde, dass ich dann dafür die israelische abgebe. Es kommt für mich nicht in Frage, die israelische Staatsangehörigkeit jemals aufzugeben, nicht nur, weil es ein Fragment meiner Heimat ist, weil ich da geboren wurde, sondern weil es seit 3000 Jahren die historische Heimstätte der Juden ist und ich mir dieser Geschichte bewusst bin. Ich könnte mir vorstellen, dass meine Großeltern oder besser gesagt mein Opa (der Zionist war so wie ich es bin) sich im Grab umdrehen würde, würde ich diese israelische Staatsbürgerschaft aufgeben: Gerade mal zwei Generationen, seit es überhaupt diese Wiedergründung des Staates Israel gibt. Das ist für mich mehr als bloß ein Stück Papier. Das ist ein Symbol für jüdische Unabhängigkeit, Eigenstaatlichkeit und für jüdische Selbstbestimmung, diese Dinge sind mir sehr wichtig und dementsprechend ist mir diese Staatsangehörigkeit sehr wichtig.

Und fühlst Du Dich dann 100% Israelisch? Weil es häufig so ist: Wenn man einen Integrationshintergrund hat, ist man nicht so sicher, wer man ist.

Ich glaube, man muss langsam dahin gehen, die Gleichzeitigkeit von multidimensionaler Identität zu akzeptieren. Das man alles gleichzeitig sein kann. Ich würde nicht sagen, dass ich Deutscher bin. Ich würde sagen: Ich bin Berliner. Das definitiv! Ich bin Schöneberger. Alles das gleichzeitig. Ich spreche Deutsch. Macht mich das zum Deutschen? Ich glaube nicht. Aber ich bin gleichzeitig Israeli, ich spreche hebräisch. Ich bin Jude. Ausländer auch. Ich bin alle diese Dinge gleichzeitig. Und das ist genau das Ding – diese Gleichzeitigkeit von Multidimensionalität zu realisieren und zu akzeptieren und damit auch zurechtzukommen. Das ist etwas, was mir persönlich ziemlich leichtfällt, weil ich das alles in mir drin habe. Als Beispiel: Wenn ich in irgendein Geschäft gehe und ich sehe da ganz viele Leute stellen sich an und ich will nur ein paar Socken kaufen und die Schlange ist 20 Meter lang. Ich will da nicht für diese ein Paar Socken mehrere Minuten in der Schlange warten. Dann gehe ich nach vorne, such mir jemanden raus und sage: „Pass mal auf, ich gebe Dir diese fünf Euro, nimm Dir noch was Extra und bezahle schnell für mich.“ Das ist definitiv keine deutsche Eigenschaft! (lacht) Sondern das ist wahrscheinlich meine israelische Eigenschaft (lacht). Auf der anderen Seite, wenn ich in Israel sein würde, und man würde mir sagen: „Wir treffen uns um 8 Uhr“ dann bin ich tatsächlich um 8 Uhr da. Das ist aber von den Israelis nicht unbedingt so. Sie kommen um 8.30 Uhr und das ist gar kein Problem und niemand findet das respektlos.

Wie wird man Rapper?

Eigentlich ist das nicht so kompliziert. Die Frage könnte man anders stellen: Wie wird man Tänzer? Man braucht als Mensch erstmal die Leidenschaft dafür an sich, für den Tanz… Rap steht für „Rhythm and Poetry“, d.h. auf Deutsch „Rhythmus und Poesie“. Poesie haben wir doch um uns herum seit Tausenden Jahren… Wenn man geboren wurde, mit der Gabe zu reimen oder Sprache gut anzuwenden, damit zu experimentieren, dann hat man schon eine gewisse Neigung dazu. Bei kleinen Kindern stellt man das fest: Mein Sohn hört einfach ein Beat und fängt an zu tanzen. Das ist einfach eine Art angeborene Eigenschaft. Und wenn man mit der Zeit feststellt, dass es einem besonders Spaß macht, so sehr, dass man es ernster nehmen möchte, dann fängt man wie von selbst irgendwann damit an.

Zu meiner Zeit war es noch ziemlich neu, heute kennt ja jeder Rap! Aber als ich damals angefangen habe – Ende der Neunziger Jahre – war Rap noch unbekannt. Ja, Gedichte schreiben kennt man, aber jetzt Musik anmachen und darauf zu rappen? Das war neu! Aber für mich war das etwas, wo ich mich ganz schnell darin wohlfühlte, weil ich gerne gereimt habe. Ich habe schon in der Schule gerne Gedichte auswendig gelernt oder selber welche geschrieben. Ich habe gut mit Sprachen umgehen können, ich bin ja bilingual aufgewachsen und habe in Sprachen einfach eine gewisse Stärke gehabt. Irgendwann habe ich festgestellt, als ich das erste Mal Rap gehört habe, dass es mir leichtfällt, die Texte nachzurappen und dass es mir sogar Spaß macht, sie zu verändern und mit meinen eigenen Worten umzugestalten. Und als ich das gemacht habe, habe ich gespürt: Das ist nicht bloß Spaß, sondern auch eine Möglichkeit für mich, meine negativen Emotionen zu kanalisieren. Ich bin ein Scheidungskind: Meine Eltern ließen sich scheiden als ich 14 Jahre alt war, auch Antisemitismus und Diskriminierung habe ich schon in meiner Kindheit erlebt, dazu kamen schlechte Schulnoten oder auch mal Liebeskummer. Ich erkannte irgendwann, dass ich mit Rap aus solchen negativen Erfahrungen oder Emotionen was Positives erschaffen kann! Ich kann diese Emotionen verarbeiten und am Ende habe ich sechzehn Takte oder einen Song, den ich gerne rappe und währenddessen vergisst man allmählig, dass man sich davor schlecht gefühlt hat. Und so fing ich damit an. Mit der Zeit will man das aber ernster nehmen. Das bedeutete für mich, dass man nicht nur mal was schreibt, wenn einem was passiert, sondern man sagt: „Ich mache das täglich. Ich werde täglich versuchen ein paar Zeilen zu schreiben oder ich werde täglich versuchen die Texte der Rapper, die ich gut finde, zu analysieren und zu schauen, wie sie ihre Techniken anwenden.“ Es ist ähnlich, wenn Du ein Musikinstrument spielst, hast du einen Virtuosen, den du gut findest und du beobachtest ganz genau, wie spielt er seine Geige oder sein Klavier, was kann man da lernen. Ich habe auch angefangen, die Rapper, die ich gut fand, zu studieren. Und dann fängt man irgendwann regelmäßig mehr Texte zu schreiben und später wächst man in so eine Szene hinein, von Gleichgesinnten. Und plötzlich, wenn man da so drin ist, nach einer Weile und wenn man vielleicht schon die erste Veröffentlichung hat, ist man dann sozusagen offiziell Rapper.

Ich habe auch eine einzigartige jüdische Perspektive. Und diese Perspektive wollte ich auch zum Ausdruck bringen. Lustigerweise ist es erst wirklich geglückt, als ich der Rap Szene den Rücken gekehrt habe, weil mich vorher, gerade die Leute, die ich heute erreiche, gar nicht auf dem Schirm hatten. Ich bin für diese Leute erst auf den Schirm gekommen als ich gesagt habe, ich verabschiede mich aus Protest aus der Rap Szene, weil da viel Antisemitismus existiert. Erst dann wurde mein Album, was ich schon 2016 veröffentlicht habe, in den Fokus genommen. Da kritisiere ich schon den Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft, in dem ich mich vor einem Davidstern hinstelle, meine Hände vor dem Gesicht habe und damit will ich zum Ausdruck bringen, jüdisches Leben ist in Deutschland leider nicht offen möglich. Und meine Antwort darauf: Nicht mit mir! Ich bin selbstbewusst und zeige mein Gesicht. Das war mein Protest.

Ende Teil I